Discordo Ergo Sum

Renate Bertlmanns komplexes Œuvre weist auf eine künstlerische Auseinandersetzung hin, die in ästhetischer wie auch in konzeptioneller Hinsicht untrennbar mit einer Ästhetik des Riskanten verbunden ist. Im Blick das transformatorische Potenzial von Differenz als Gegenstück zu Macht, oszilliert in ihren Arbeiten Performatives, Skulpturales, Zeichnerisches, Fotografisches, Filmisches und Textuelles zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, Entzogenem und Begehrtem, Alltäglichem und Ungewöhnlichem, Kunst und Leben. Renate Bertlmann zeichnet sich nicht nur durch ihre hohe formale und konzeptuelle Präzision aus. Der agitativ programmatische Charakter ihres Werkes unter dem künstlerischen Motto „Amo Ergo Sum“ und ihr obsessiver Umgang mit Körperbildern richtet sich unmittelbar an eine gesellschaftspolitische Alltagskultur. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn verstand es Bertlmann, die institutionellen Bedingungen der Kunst und Kunstbegriffe zugleich kritisch wie lustvoll zu hinterfragen, indem sie das ironische Potenzial und den Eigensinn von Materialitäten als Ausgangspunkt ihrer feministisch-analytischen Reflexionen nutzte und die Mechanismen des Kunstsystems offenlegte. Umso beeindruckender ist, wie es ihr gelingt, diese Fragestellungen in einem synthetischen Akt performativer und tradierter Ausdrucksformen sinnlich und lustvoll zu verhandeln.

Für die Ausstellung im österreichischen Pavillon hat Renate Bertlmann mit Discordo Ergo Sum („Ich widerspreche, also bin ich“) eine Installation entwickelt. Mit dieser Umformulierung des philosophischen Grundsatzes „Cogito Ergo Sum“ („Ich denke, also bin ich“) versucht die Künstlerin, die Vor-herrschaft des Logozentrismus auszuhebeln und sich in ihrem widerständige Selbstbild zu beschreiben. Auf der Grundlage des subversiven programmatischen Werkansatzes der Künstlerin, Amo Ergo Sum („Ich liebe, also bin ich”), bringen die eindrucksvolle Schriftarbeit vor dem Pavillon, mit der Bertlmann in der ihrer Arbeit eigenen ironischen Geste den Pavillon einer Leinwand gleich signiert, und die den gesamten Binnengarten des Pavillons einnehmende Installation der Messer-Rosen „als präzise angelegter Raster, bestehend aus 312 Rosen, eine Art rote Armee, die unter gleißender Sonne Habtacht steht“ (Beatriz Colomina) einen synästhetischen künstlerischen Kommentar zur Schau, der in Form und Inhalt die existenzielle Ambivalenz von Menschheitserfahrung sinnlich erfahrbar macht. Dieser subversive Umgang bringt prägnant das auf Gegensätzen basierende Prinzip ihres künstlerischen Ansatzes auf den Punkt.

Als Umbruch auf höchster Ebene eignet sich Bertlmann das Arsenal der gesellschaftlichen Symbole an, bricht es auf und wertet es auf feministische Weise um. Dabei werden Widersprüche in einem Sowohl-als-auch nebeneinandergestellt, zum Oszillieren gebracht und als Ausdruck menschlicher Vielfalt und Pluralität wahrgenommen. Aus der Grundbewegung der beiden Ich-Figuren der Künstlerin, der Liebenden und der Widerständigen, formiert sich ein Schwellenraum, in dem Unpassendes zusammenkommt, Gegensätzliches die Seiten wechselt, Dichotomien und Hierarchien in Bewegung geraten. In dieser im Zusammenspiel konzeptueller, ästhetischer und materieller Intensitäten generierten Sphäre wird eine Grundspannung eindringlich erlebbar, die sich einerseits als individuelles und gesellschaftspolitisches Phänomen globaler Entwicklungen krisenhaft zeigt und andererseits das transformatorische Potenzial von Kunst in wahrnehmungsästhetischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen aufzeigt. Zwischen dieser Grundbewegung im Außenraum und Innenhof des Pavillons öffnet sich im Ausstellungsraum ein kartografischer Blick auf das künstlerische Schaffen Renate Bertlmanns. Reproduktionen ihrer Lehrtafeln, Skizzen, Fotos, Filmstreifen und Zeichnungen an den Wänden schafften eine kontemplative Zone, in der die Besucher*innen in Renate Bertlmanns künstlerisches Selbstverständnis eintauchen und dieses im Verhältnis zur aktuellen Installation wahrnehmen können.

Das von StudioVlayStreeruwitz erdachte Display – eine leichte, wie aus Papier gefaltene und in den Pavillon eingestülpte Schachtel – schafft einen Binnenraum, der dem Pavillon Bedeutung nimmt und erklärt ihn in seiner temporären Funktion zur Ruine.

Behind the scenes
Eine Dokumentation von Lauren Klocker